Elena Deppe als Singleiterin mit Gitarre auf einem Stuhl sitzend.

Wie ich wurde, was ich bin: Mein kurviger Weg zur Singleiterin

(aktualisiert am 22.11.22)

Singleiterin oder Singkreis-Leiterin ist eine ziemlich unbekannte Tätigkeit. Singkreise sind kein Chor, und ich bin keine Chorleiterin. Vielmehr gestalte ich Gruppenerlebnisse und Workshops zum gemeinsamen Entspannen und Auftanken. Ganz ohne Noten und musikalischen Anspruch. Gemeinsam chanten wir Mantras und Lieder aus aller Welt und genießen die positiven Effekte dieser Meditationsform.

Workshops zu geben und „Raum zu halten“ für besondere Events, war für mich kein gradliniger Weg. Es hat lange gedauert, bis ich eigene Veranstaltungen durchgeführt habe. Immer wieder hemmten mich Selbstzweifel und Unsicherheit. Dabei war mir schon früh klar, dass meine Stimme mir den Weg weist. Wie ich endlich da angekommen bin, wo ich immer hinwollte, erfährst du in diesem Artikel.

Die erste Single

Das Singen liebe ich schon als Kind. Unterwegs schmettere ich begeistert Volkslieder mit meinen Eltern und auf Ferienfreizeiten. Ich bin im Kinderchor und besinge mit 8 Jahren „meine“ erste Single mit dem frischen Titel „Wenn der Sommer kommt“. Im Musikunterricht soll ich allein die Lieder-Strophen singen, die Mitschüler zusammen den Refrain. Die Jungs im Stimmbruch tun mir echt leid, und Noten fürs Singen finde ich schon damals doof.

Im Konfirmandenunterricht singt unser Pfarrer mit uns eigene „heilsame Lieder“ mit Gitarrenbegleitung. Es geht um Gemeinschaft, Liebe und Vertrauen. Ich bin begeistert von diesen einfachen Songs – und er zeigt mir ein paar Gitarrengriffe, damit ich die Lieder und ein paar Beatles-Songs zu Hause weiter singen kann.

Singtogether CD Cover vorn hinten V16
Viele Jahre später nehme ich eine CD auf, zusammen mit Jürgen Lohr.

Ich will nur für mich selbst Sängerin sein

Das Singen im Jugend-Chor als Teenager ist schön, aber auch anstrengend. Ich werde schnell heiser, da der Chor ist kein Wohlfühlort für mich ist. Als eher schüchterne Einzelgängerin will ich zwar singen, aber lieber ohne Leistungsdruck. Auch die Ungeduld des Chorleiters und das komplizierte Zählen von Takten in den Partituren interessieren mich nicht genug.

Bei der Abi-Zeugnisverleihung singe ich etwas unsicher ein Lied, das mir meine Musiklehrerin vorgeschlagen hat. Danach antworte ich auf die Frage des Schuldirektors, was ich denn werden möchte: „Ich will Sängerin werden“. Da bin ich glatt über mich selbst erstaunt. Ich nehme dann auch Gesangsunterricht, aber diese ganze Sing-Technik kommt mir extrem kompliziert vor. Tonleitern üben, den Atem richtig einteilen, Arien schmettern … Vor einem Publikum zu singen finde ich nervenzerfetzend und peinlich. Ich will nicht auf eine Bühne.

Im Büro ist es sicherer

Bei so wenig Selbstbewusstsein kommt ein Gesangsstudium nicht infrage. Ich soll erst einmal etwas „Vernünftiges“ lernen. Die Alternative zu „Industriekaufmann“ (auf keinen Fall!) ist eine Ausbildung zur Wirtschaftskorrespondentin für Englisch und Französisch. Wenigstens ist das etwas mit Sprachen. Ich lerne mit 10 Fingern tippen und blitzschnelle Stenografie. Jobs im Büro zu finden, ist jetzt kein Problem mehr. Allerdings bin ich nicht so gut im Akten pflegen und Ordnung halten. Ich trinke sehr viel Kaffee, weil ich in den stickigen Büroräumen so schnell müde werde. Singen tue ich nicht mehr.

Das wilde Studentinnenleben

Hinein in die Freiheit. Meine zweite Liebe neben dem Singen waren immer Bücher. Ich studiere Vergleichende Literaturwissenschaften, Anglistik und Kunstgeschichte. Das Lesepensum ist sehr hoch, genau richtig für mich. Wissenschaftliche Hausaufgaben zu verfassen, liegt mir nicht am Herzen. Ich bin keine Wissenschaftlerin, ich liebe einfach nur gute Geschichten.

Also bin ich weniger an der Universität, genieße dafür umso mehr mein freies Leben auf Partys und Ausstellungen, in Konzerten und Kinosälen. Nach dem Uni-Abschluss hoffe ich auf einen spannenden Job im Bereich Kunst und Kultur. Ich singe nur unter der Dusche und in Treppenhäusern, wegen der tollen Akustik.

Kommunikation auf allen Ebenen

Stimme, Sprache und Kommunikation sind in den nächsten Jahren der Schwerpunkt in meiner Berufstätigkeit. Volontariat, Redakteurin bei einem Radiosender, Öffentlichkeitsarbeit im Theater, Beraterin für Public Relations in einer Agentur. Ich versuche mich in interessanten und vielfältigen Jobs. Am Telefon und im persönlichen Kontakt ist alles wunderbar. Trotzdem fühle ich mich nirgends richtig Zuhause. Zu wenig Tiefgang, dafür aber jede Menge Zeitdruck. Ich sehne mich nach einem selbstbestimmten Arbeitsleben mit wertschätzendem Umgang, ohne stressige Vorgaben „von oben“.

Therapeutin werden

Den Karriere-Ambitionen sage ich erst einmal ade. Ich will noch einmal einen anderen Weg einschlagen und werde jetzt „Therapeutin“. Drei Jahre Ausbildung zur Logopädin und Fortbildungen in Stimmtherapie folgen. Ich lerne viel über Stimme, Körper, Sprache, Kommunikation und Psychologie. 2005 bestehe ich die Abschlussprüfung mit Leichtigkeit und tollem Feedback.

Danach arbeite ich in einer Praxis für Logopädie. Ein schöner, vielfältiger Beruf, mit vielen netten Patienten. Raus aus meinem Therapiezimmerchen komme ich kaum. Austausch mit Kolleginnen ist Mangelware, ich sehne mich nach mehr Verbindung auf einer anderen Ebene. Die Logopädie ist noch nicht meine berufliche „Endstation“.

Späte Mutter

Jetzt kommen erst einmal meine beiden Töchter auf die Welt, auf die ich lange warten musste. Mit Ende 30 stürze ich mich mit Leidenschaft ins Muttersein. Ich singe, male und tanze mit meinen Kindern und genieße die Elternzeit. Eltern sein ist zwar schön aber auch schön anstrengend. Ich reduziere die Logopädie auf Teilzeit und erhole mich von der Familie bei interessanten Fortbildungen zu den Themen Stimme, Rhetorik, Kommunikation und Coaching.

Bei jeder neuen Fortbildung denke ich: Wow, so etwas will ich auch machen! Lernwillige Erwachsene „unterrichten“ und Seminare gestalten. Ich beschließe, bald einen eigenen Kurs an der örtlichen Volkshochschule anzubieten. Selbstzweifel bremsen mich wieder. Bin ich dafür schon gut genug? Ich bin Anfang 40 und fühle mich wieder wie eine Anfängerin.

Coaching und viel Gehirnschmalz

Also bilde ich mich erst einmal weiter, unter anderem als Stressmanagement-Kursleiterin, Lachyoga-Trainerin, NLP Practitioner, Coach … Während der einjährigen Ausbildung zum systemischen Coach übe ich, die richtigen Fragen zur richtigen Zeit zu stellen. Neben komplexen Coaching-„Interventionen“ lerne ich Zuhören ganz ohne Bewertung und gewöhne mir ab, ungefragt Ratschläge zu geben.
Danach coache ich fröhlich eine Reihe von Probeklienten. Etwas Entscheidendes aber fehlt mir immer noch. Alles bleibt irgendwie im Kopf stecken. Wo kommt hier der Körper ins Spiel, der ja das Erlernte wirklich verkörpern soll? Wo bleiben Lebensfreude, Lachen, Gesang und Verbindung, die für mich das Leben erst lebenswert machen?

Aus vollem Herzen singen

Als ich an einem Workshop mit dem Titel „Heilsames Singen“ bei Katharina und Wolfgang Bossinger teilnehme, wird mir sofort klar: Heilsames Singen ist „mein Ding“. Hier kommt alles zusammen, was mir wichtig ist: Singen, Bewegung, Entspannung. Wertschätzende Begegnungen, Abwesenheit von Vergleich und Leistungsdruck, bodenständige Spiritualität. Endlich beherzige ich selbst meinen Lieblingsspruch:

„Folge deinem Herzen, aber nimm dein Hirn mit.“

Alfred Adler, Psychoanalytiker

Ich absolviere die Ausbildung zur Singleiterin bei Singende Krankenhäuser e. V., „Sing@work“ (Singen in Unternehmen) bei Katharina & Wolfgang Bossinger und die Jahresgruppe Musik bei Hagara Feinbier. Mein Hirn hat genug Futter, da ich mich parallel durch sämtliche Literatur zum Thema Singen und Gesundheit lese.

Woher nehme ich den Mut, jetzt einen eigenen Singkreis anzubieten? Die Atmosphäre der liebevollen Selbstannahme, die ich in den Singkreisen für heilsames Singen erfahren habe, hat mich gestärkt. „Es gibt keine Fehler, nur Variationen“, dieser Spruch von Wolfgang Bossinger zum gemeinsamen Singen im Kreis ist jetzt auch der Leitspruch für meine ersten Schritte.

Singkreise im Wohnzimmer

Der erste Schritt: Ich mache einen Aushang am Schwarzen Brett bei Edeka um die Ecke. „Biete Singen in netter Runde bei mir im Wohnzimmer. Keine musikalischen Vorkenntnisse nötig.“ Fünf Frauen folgen beim ersten Termin meiner Einladung. Schnell werden wir mehr. Jede Woche veranstalte ich mindestens zwei, drei Singing Circles. Unser Wohnzimmer wird langsam zu klein.

Ich miete einen Raum und „professionalisiere“ mich. Dranbleiben und üben, das bringt mir Sicherheit als Singleiterin. Wir mixen Chants, Mantras, Lieder aus aller Welt, Begegnungs- und Entspannungsübungen. Die Teilnehmer wachsen zusammen und kommen regelmäßig. Ich biete meinen ersten Kurs als Singleiterin an der Volkshochschule an. Der Titel: „Singen zur Entspannung“. Volltreffer, ausgebucht.

Atem und Bewegung

Da ich selber Asthma habe und Kurzatmigkeit gut kenne, beschäftige ich mich intensiv mit Atem- und Entspannungstechniken. 2017 bilde ich mich zur Rehasport-Trainerin bei Lungenerkrankungen weiter und werde auch Breathwork-Coach. Seitdem leite ich mit viel Freude mehrere Lungensport-Gruppen in der Woche für Menschen mit Asthma und COPD und singe auch mit ihnen.

Als leidenschaftliche Singleiterin bleiben meine Singkreise und Wochenend-Veranstaltungen weiterhin meine Lieblings-Spielwiese. Sanfte Atem- und Lockerungsübungen sind eh immer dabei. Zusätzlich begeistere ich mich für einfache Klanginstrumente wie Klangschalen, Klangspiele & Co. und experimentiere mit Klängen zur Entspannung (Soundbaths).

Angekommen. Weitergehen.

Heute fühle ich mich endlich „angekommen“ in meiner Rolle als Singleiterin. Ich habe gelernt, dass ich meine Selbstzweifel nur überwinden kann durchs einfach tun und weniger darüber nachdenken. Ich brauche als Singleiterin auch nicht profimäßig Gitarre oder Harmonium spielen können. Es reichen ganz einfache musikalische Mittel wie Rassel, Trommel oder nur Stimme, um Freiräume für andere zu eröffnen; ob in Form von Mantra Chanting, authentischem Selbstausdruck oder Meditationen. Furchtlos neue Elemente zu integrieren, wie z. B. Klangbäder und Cacao-Rituale ist jetzt eine Freude für mich geworden.

Der Kreis wird dafür meine Lieblingsform bleiben. In diesem magischen Raum ohne Anfang und Ende entsteht ein besonderer Zauber, der Verwandlung möglich macht. Das ist Lebensfreude pur, gerade wenn wir unsere Angst und Selbstzweifel singend in die Luft werfen. Wenn wir vertrauen und uns einfach so zeigen, wie wir sind: liebevoll, unverwechselbar, mutig und voller Wunder.

Ich freue mich sehr, wenn du bald einmal dabei bist im Singkreis oder bei einem gemeinsamen Chanting-Wochenende.

Singleiterin Elena
Liedertexte organisieren beim Singwochenende im Schlüßhof
Elena Deppe

4 Kommentare zu „Wie ich wurde, was ich bin: Mein kurviger Weg zur Singleiterin“

  1. Liebe Elena, wie schön du all deine vielen bunten Erfahrungsperlen im Text zu einer so schönen Perlenkette verwebst … ich sitze bestimmt ganz bald mal in einem deiner Kreise … ich freue mich drauf. Liebe Grüße Umani

  2. Wie immer wunderschön geschrieben. Du hast ja bisher so viel gelernt, gelebt und erlebt wie mehr als drei Leben. Hut ab vor deinem Mut, Ausdauer und deiner nicht endenden Neugier… Es gibt Hoffnung, auf das, was noch kommt oder kommen kann.
    ❤️

  3. Liebe Elena, Du hast sehr schön geschrieben und ich habe einige Parallelen entdeckt!
    Ich kann Deine Kurse nur wärmstens weiterempfehlen.
    Bei mir habe ich gelernt, dass ich die eigene Stimme als heilsamen Balsam nutze, in den ich mich beim Singen einhuscheln (wie der Sachse sagt) kann.
    Liebe Grüße

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